Das
Beispiel stellt ein komplexes ultrapräzises und daher relativ
teures, aber doch eben relativ preiswertes, softwaregetriebenes, hardwareminimiertes
Mess- und Steuerungssystem dar, von dem über
hundert Exemplare industriell eingesetzt wurden und das weitaus
mehr kann als messen. An
diesem System, das konzernintern patentiert wurde, erkenne ich
zwei für den allgemeinen Zweck, Entwicklung zu erklären,
geeignete Vorteile. Zum einen darf ich die Einzelheiten aus Vertragsgründen
nicht öffentlich darstellen, so dass mir der Verbleib im nur Grundsätzlichen
aufgezwungen ist, zum anderen kommt dieses dem technisch interessierten
Leser zugute, da ihn die Schilderungen voraussichtlich
nicht überfordern. Mit
dem Auftrag, ein technisches System zu entwickeln, das es noch
nicht gibt, es also zu erfinden, ergibt sich
ein anderes schöpferisches Denken als beispielsweise das
des Schriftstellers, der einen aufwendigen Roman oder ein abendfüllendes
Theaterstück zu schreiben beabsichtigt. Obwohl
auch ein literarisches Werk bestimmten Regeln unterliegt (es
muss eine innere Logik haben und wenn es noch
so erdacht ist, es sollen vom Verfasser bestimmte
Stilformen eingehalten werden, damit das Werk vom lesenden, sehenden
oder hörenden Publikum angenommen werden kann, usw.), so muss
der Ansatz des Entwicklers eines technisches Werkes immer ein
unter ökonomischem Aspekt problemlösender Ansatz sein. Problemlösendes
Denken, das sich mit erst noch gedachten Gegenständen befasst,
unterscheidet sich ferner vom problemlösenden Denken, das
sich mit bereits vorhandenen Gegenständen
befasst. Gibt
es ein Objekt bereits, so erkennt der problemlösende Mensch
dieses Objekt als real existierendes Objekt und verbindet es
mit einem problemzugehörigen, aus seinem Erfahrungsschatz
resultierenden Gedankenfeld, aus dem das Objekt sich abhebt,
es gewissermaßen im Fokus seines Augenmerks liegt. Das
Objekt steht in einem Kontext zu anderen Denk- und Realobjekten
mit dem Ziel der Problemlösung. Der
problemlösende Mensch hat hierbei den Vorteil, das existierende
Objekt in seinem Ist-Zustand zu beurteilen; er kann es vermessen,
er kann Funktionalität und Funktionen feststellen. Das
gilt nicht für jemanden, dem aufgetragen ist, etwas Neues zu entwickeln.
Das heißt nicht, dass er nun von der grünen Wiese aus
entwickeln müsste (ist nicht möglich). Dem Entwickler technischer,
noch nicht vorhandener Systeme steht sein bis jetzt schon prinzipiell
problembezogenes Gewusstes als grundlegende Voraussetzung
für sein Tun zur Verfügung. Ohne dieses Gewusste
kann er nicht professionell entwickeln (Basteln ist
verboten). Der
Entwickler hat den Komplex des Zieles im Auge (Gesamtfunktions-,
Ökonomie-, Dokumentations- und Anwendungsproblematik). Er
startet gedanklich damit, durch viele Detailobjekte, die das System
hauptsächlich ausmachen könnten, hindurchzuschauen,
um zu prüfen, ob sie grundsätzlich zum Erreichen des anspruchsvollen Zieles
geeignet sind. Der
Wissensfundus des Entwicklers ist von entscheidender
Bedeutung, doch reicht er allein nicht aus. Sein Wissen darf nicht
als ein starrer Vorrat angesehen und benutzt werden,
wodurch das Geforderte durch den Entwickler und nicht aus objektiven
Gründen in seinen technischen Möglichkeiten unausgeschöpft bliebe.
Vielmehr muss der Entwickler seine zu Anfang bestehenden Kenntnisse formen
können, indem er sie schon in der Vorfeldarbeit (Planung,
Konzept, Entwurf) flexibel beurteilt, erweitert, anpasst,
erneuert, modifiziert. Hat
der Entwickler Objekte, die im zu entwickelnden System zum Einsatz
kommen könnten, in Funktionen anderer Art kennengelernt
und bindet er sich an diese Funktionen, ist er also nicht oder
nur wenig in der Lage, dieselben Objekte in ihrem Einsatz an
die neue Aufgabe sinnvoll zu adaptieren, dann weist ihn das als noch
nicht gut genug geeigneten Entwickler aus. Je mehr Anwendungs-
und Einsatzaspekte eines Detail-Objektes er kennt, umso besser
sind die Erfolgsaussichten. Die gewohnte Sicht auf Gewesenes
und Erlebtes muss aufgegeben werden, ohne dabei das Gewesene
und Erlebte zu vergessen, und vor allem, ohne die grundsätzlich
feste Denkrichtung zum komplexen Ziel hin zu verlieren. Man
spricht und schreibt zwar von Entwicklungsphasen,
die, sofern es technisch gemeint ist, den gesamten Entwicklungsgang
in bestimmte Abschnitte unterteilen, doch in den psychischen
Vorgängen des Entwicklers während des Entwicklungsgangs
bestimmen die Erfahrungen und Phantasiekapazitäten aus den
vorangegangenen Entwicklungen die Problemlösung mit, ferner
die permanente Frage an sich selbst, sich stets zu erneuern,
die Bereitwilligkeit, sich geeignete Erfahrungen anderer zunutze
zu machen und mit den anderen zusammenzuarbeiten, der Wille,
nichts dem Zufall zu überlassen, dafür den Fortschritt
der Entwicklung kontinuierlich rational zu überprüfen, und
der Durchhaltegrad an Selbstsicherheit und Erfolgsgewissheit
schlechthin alles das ist phasenlos dem Gesamtprozess
beigegeben. Der
ideale Entwickler sieht im Entwicklungsgang vollkommen von sich selbst ab.
Fixiert er sich auf sein bisheriges Objektwissen, ohne dieses
Wissen zwecks Flexibilisierung der Objektanwendung in Frage zu
stellen, so sieht er schon nicht mehr von sich selbst ab, sondern
bringt die eigene Befindlichkeit in die neue Systementwicklung
ein. Das kann und wird der Problemlösung schaden. Flexibler
Objektanwendung wohnt kritische Objektanwendung inne. Eine
Begrenzung liegt dort, wo der Entwickler beginnt, in der möglichen
Breite der Anwendbarkeit des Detail-Objekts jenen roten Faden zu
verlieren, der in der Zielvorgabe für die Systementwicklung
gelegt worden ist. Die Zielvorgabe stellt die abstrakte Invariante
im Entwicklungsgeschehen dar. Keinesfalls solange das
Anwendungsziel erhalten bleibt dürfen die Toleranzgrenzen
der Zielvorgabe unbegründbar verändert werden. Sie dürfen nur
infolge neuer Aspekte qualitativ erweitert, vertieft und müssen dann
den neuen Erkenntnissen und Anforderungen angepasst werden. Erste
konkrete Detailbeschreibungen darf es erst geben, wenn das Gesamtsystem und
seine Basiswahrheit die Gesamtheit der naturgesetzlichen,
ökonomischen, kybernetischen, sozialpsychologischen, ergonomischen, apparativen
und funktionalen Voraussetzungen zur Kenntnis gekommen, sie also voll in das
Bewusstsein des Entwicklers gelangt sind. Das bedeutet konsequent
und unbeirrt durchgeführte Vorfeldarbeit. Ich
Entwickler muss zu Anfang im Idealfall
genau wissen:
Welche Arbeitsmittel, welche Personen und wieviele
sind notwendig, wie ist der Zeitplan definiert, welche Meilensteine
sind im Entwicklungsprozess wann zu erreichen, welche Unbekannten gibt
es noch, was sind Schnittstellen und wie sind sie zu anderen Bereichsdisziplinen zu dokumentieren,
wann wird wieviel vom Entwicklungsbudget genommen sein, wer liefert was wann
ins Haus, wo findet man welche sachbezogene Literatur, was ändert
sich beim Anwender... usw.; weil es ein wirkliches Detailobjekt
des Gesamtsystems noch nicht gibt, besteht die Vorarbeit aus folgerichtigem
Denken und aus der Umsetzung des Denkens in konstituierte Aussagen
(grafisch, textlich) bei innerlicher Widerspruchsfreiheit
und Abgesichertheit. Hier
spielt Interaktion mit geeigneten Kollegen eine große Rolle (der
Entwickler und sein kundiger Kritiker das bloße
Bestätigen durch Anschauung reicht nicht aus), wobei
naturgesetzliche Gegebenheiten in der technischen Entwicklung
die größte kritische Rolle spielen. In
der Interaktion zwischen Menschen spielt das richtige Verstehen des Gemeinten
die größte Rolle. Dadurch, dass jemand den Dialog
verlässt, um entsprechend dem Dialog zu handeln, obwohl
er falsch verstanden hat, werden große ökonomische
Schäden angerichtet. Der
bestgeeignete Entwickler ist jener, der neben exzellentem,
flexibel angewandtem, fachlichem Vorwissen ein gutes
Allgemeinwissen besitzt. Wortschatz, Satzbildung,
Assoziation, Phantasie füllen Sprechlücken des Dialogpartners. Schmales
Wissen von einsetzbaren Materialien, Werkstoffen, Bausteinen und ihren
Eigenschaften reicht zum Entwickeln technischer Systeme nicht aus.
Sie müssen beim Anwender (Kunden) in rauhen Umgebungsbedingungen
zuverlässig und sicher gegen Störungen aller Art funktionieren.
Umfangreiches Wissen der Elektronik als Analog- und Digitaltechnik ist für
elektronische Systementwicklung in Hard- und Software unumgänglich.
Mathematik, Logik, Symbolik, Informatik, Software, künstliche
Intelligenz, Mikro- und Nanoelektronik, Halbleiter- und Röhrenphysik,
Stromversorgungstechnik, Elektrotechnik, Mechanik, Hoch- und
Niederfrequenztechnik, Steuer- und Regelungstechnik, Bauelementeverhalten,
Optik, Sensorik, Leistungselektronik, Metallkunde, Impuls- und
Abschirmtechnik, Akustik, Mess- und Zähltechnik, Kontakt-,
Stromleiter-, Temperatur-, Lötphysik, Schaltplan- und Platinenlayout,
Datenübertragungstechnik, Übersprechphysik, Speichertechnik,
EDV, CAD, CAM, CAE, NC, Programmiersprachen etc. davon muss man gute
bis beste Kenntnis haben. Mit Fachliteratur, Datenbüchern,
Handbüchern, Computersprachen ist sinnfällig umzugehen
in deutscher und englischer Sprache. In der Historie der
Physik, Elektro- und Nachrichtentechnik, Elektronik und Feinwerktechnik sich gut auszukennen dient
zusätzlich der Fähigkeit, technikrelevante Prognosen
zu stellen, um sich auf Neues vorzubereiten. Technik
ist bedeutender Teil gesellschaftlicher und individueller Lebensgestaltung. Sie greift
in kybernetische Prozesse der menschlichen Gesellschaft wirksam ein. Elektronische
Systeme und damit die Kommunikationstechnik, eingeschlossen Mess-, Steuer-,
Regelungs- und Computertechnik inclusive Software sind Grundlage der Automatisierung
industrieller, aber auch fast aller anderer Prozessabläufe. Elektronik ist eine
wissenschaftlich bestimmte Technik, die sich auf Ergebnisse der physikalischen
Grundlagenforschung stützt. Der
technische Entwickler erdenkt Systeme, die es von Natur aus nicht gibt, die
den Naturgesetzen aber gehorchen müssen, und das stellt an sein Denken
ein dickes Bündel von ganz besonderen Anforderungen.