Nach dem Kriege
war Fritz Ralle aus Tinnum der erste junge Mann in der Gemeinde,
der sich nach dem Schulabschluss für den Beruf des Seemanns
entschied und auf der Tinnum der Nordfriesischen
Reederei in Rendsburg anmusterte. Konsul Thomas Entz-v. Zerssen
gehörte zu den nachkriegsdeutschen Reedern der ersten Stunde,
schon 1949 dampfte seine in den Kriegsjahren im Rendsburger Obereiderhafen
von britischen Bomben getroffene und ausgebrannte Hörnum
als einer der ersten Frachter unter bundesdeutscher Flagge ins
Mittelmeer. Als Schüler, um sich ein bisschen Geld zu verdienen,
trug Fritz Ralle die Sylter Zeitung im Tinnumer/Ost-Westerländer
Bereich aus. Seine Auflistung der Kundschaft bietet die Möglichkeit,
dass man sich über viele vergessene Familien, die damals
in ihren Häusern, in Barackenlagern oder rasch erstellten
Nachkriegsbauten als Einheimische, Heimatvertriebene, Ostflüchtlinge
oder Ausgebombte wohnten, einige Vorstellungsversuche machen
kann. Einige Jahre später erst begann der bundesdeutsche
Aus- und Aufbau als jenes in der Welt bestaunte Wirtschaftswunder
des letzten Drittels der 1950er und der 1960er Jahre. Nicht allein
die den Krieg überlebende Generation der Eltern arbeitete
daran hart, auch deren Kriegs-, Vor- und Nachkriegssöhne
und -töchter waren gehörig an diesem Aufschwung beteiligt.
Ernst Luckau,
geboren in Tiegenhof bei Danzig, gelernter Tischler, in jungen
Jahren Inflation, Weimarer Republik, 1933 die Machtergreifung
der Nazis erlebt, wurde zur soldatischen Ausbildung in die
auf eigenen Wunsch Luftwaffe der Reichswehrmacht verpflichtet,
wohnhaft ab 1936 in List, während Weltkrieg II Oberleutnant,
als Hauptmann Flugkapitän, zahlreiche West- und Ost-Feindflugeinsätze,
1945 Ausbildungsdienst an Rekruten in Dänemark, im April
abkommandiert zur Berlin-Verteidigung, unterwegs Rekruten bereits
entgegen kommenden Soldatentrupps beigegeben, im Polizeipräsidiumsgebäude
am Alexanderplatz zu dritt von nachfolgenden russischen Soldaten
in die oberste Etage getrieben, durch ein Fenster die Feuerwehrleiter
abgestiegen, unten gefangen genommen, bis 1948 nahe Smolensk
Gefangenenlager. Seiner Frau Gerda, geborene Thiede aus Königsberg,
klopfte jemand eines späten Abends an die Haustür,
Tochter Karin (11) verkroch sich in die hinterste Ecke unterm
Bett. Ein lauterer, humoriger Charakter zeichnete Ernst Luckau
aus, er arbeitete bis zum Rentenalter in der Firma Beyschlag
in Westerland und nach dem frühen Tode seiner geliebten
Frau in Heide/Holstein. Da ich danach fragte und weil er mein
Interesse positiv deutete, erfuhr ich als sein Schwiegersohn
nicht nur Erlebtes, sondern auch sachliche und emotionale Hintergründe,
die zum Erlebten führten.
Hans Ahlborn,
geboren in München, Abitur, kam als Kadett auf das Segelschulschiff
Horst Wessel und 1938/39 auf das Linienschiff Schlesien,
genügte den hohen Anforderungen nicht, fühlte sich
nach Helgoland strafversetzt, lernte dort die große Liebe
seines Lebens kennen und begann das Studium der Medizin. Drei
Töchter entsprossen der Ehe. Am 25.10.1944 war der approbierte
Arzt in der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. zum
Doktor der Medizin promoviert worden. Dr. Knud Ahlborn aus Kampen
verschaffte nach dem Kriege seinem ältesten Sohn eine Arztpraxis
in List, die sich in Konkurrenz mit dem dort approbierten Arzt
Dr. Klockenhoff nicht halten konnte, so dass nach Wenningstedt
umgezogen wurde. Hier praktizierte Dr. Ahlborn in seinem Haus
am Mittelweg bis zu seiner Pensionierung, von seiner Frau Margarete,
geb. Freymuth tatkräftig unterstützt. Nachfolger wurde
Dr. Cegla nach einer Zeit fruchtbarer Zusammenarbeit im Nachbarhaus.
Hans Ahlborn war mein zweiter Schwiegervater und wertgeschätzter
Freund, dessen größte Freizeit-Leidenschaft die Segelfahrten
mit seinen Booten waren, Heimathafen Munkmarsch (Sylter Yachtclub).
Die letzte und längste Reise, unterwegs auf Band geschildert
und mit Hannes Grehm aus Keitum durchgeführt, hatte Bornholm
als Ziel.