<Oben links: Teil
der Flüchtlingsbaracken in der Nachkriegszeit östlich
der Nordmarkstraße, der größere
Teil liegt westlich. Die Rote-Kreuzstraße ist noch wenig
befahren. Unten links das Haus Schollenbruch an der Fahnenstange,
davor Lebensmittelgeschäft Niko Nissen. Unten rechts unser Nachbarhaus
zum Osten, Dachdeckerei Lorenz Gutschmidt,
in dem schon früh ein Fernsehgerät stand und draußen Antennenmast
mit Dipol-Antenne. Gutschmidts luden die Eltern
mitunter zu einer Schwarzweißoper oder einem solchen Konzert
ein. Kommentar Lorenz Gutschmidts zur Nahaufnahme der Sängerin
Erna Sack: De hett jo gor keen Tähn!", Emilie
Gutschmidts Beitrag während hingebungsvollen Zuhörens
eines bei Schröter frisch und neu erstandenen
Langspielschallplattenkonzerts: Kost' 33 Mark!. Für
zwei Wochen half ich als Handlanger den Dachdeckergesellen bei
ihrer Arbeit, Stundenlohn 1 Mark 75. So auch zur Neu-Beteerung
der St. Nicolai-Kirchturmdachpappe, maximal 42 Meter Höhe. Rund
herum, flächenweise vom Gesellen Erwin abwärts zu fieren,
sollte ich das machen, Ausstiegsqual unter der Turmspitze mit
Teerpott und Quast durch ein enges Öffnungsquadrat, Füße
zuerst, dann Sitz auf einem kurzen, an zwei Tampen links und rechts befestigten
Außensitzbrett. Das Brett rauschte mit mir ab in die
Tiefe.
Das 1936 einzugsfertige
Elternhaus als optisch einfaches Wohnhaus zu bezeichnen beweist
Ahnungslosigkeit von baulichen, finanziellen,
gesellschaflichen Zu- und Umständen jener Zeit.
Im Haus wohnten nun Eltern, Großvater, bald
fünf Kinder, drei Pflichtjahrmädchen jeweils für ein Jahr
(Lilo Ploog, Ellen Skands, Olga), und über
Jahrzehnte hinweg Bade- resp. Kurgastfamilien, diese aber nicht, als Sylt
von 1939 bis 1945 Sperrgebiet war. Offiziere der britischen Besatzungsjahre
wurden zu Freunden wie unten links Eric Daly aus Harrow, der später mit
seiner Familie nach Australien auswanderte. Das Strandniveau
hob sich bei länger dauerndem Ostwind, wenn die Wellchen
unablässig Sand heranschoben, und senkte sich in Weststürmen,
wenn mächtig auslaufende Brandungsseen die wertvollen Körnchen
schneller zurück wischten als sie sich hatten ansammeln
können. Dann erlaubte das Tiefniveau einen Spaziergang auf dem Steinweg am
Fuß der langen Promenade. Gefährlich
wurden Orkanstürme mit ihrer Achtmeterbrandungshöhe. Nicht nur einmal
wurde das Bauwerk der Strandpromenade manchmal auch erheblich zerstört.
Im April 1953 brachen
die Brandungsseen viele Meter in die Nord-Westerländer Dünenkette
ein und halbierten sie in ganzer Länge. Sie sorgten für den
Absturz der Seenotrettungsstation mit ihrer Drahtseilwinde für
die Rettungssegelboote. Deren Schuppen ist unten links nordseewasser- umflossen
zu erkennen. Rechts sieht man noch einmal die Promenadenmauer
mit dem nördlich gelegenen Strandhäuschen,
das mal als Geschäftsladen, mal als kleines Café
fungierte. Da vieles nicht mehr existiert, soll an dieser Stelle auch an einen
Briefmarkenhändler erinnert werden mit seinem Geschäftsladen an der
Friedrichstraße: Albert Bühring, ein sympathischer Mann,
dem eine wohltuende Ruhe innewohnte. Sobald durch meine vor-
oder nachschulische Hilfsarbeit bei Drogerie Wilke, Bäcker
Jacobsen oder meinem Wenningstedter Großvater ein paar
Mark verdient waren, fand man mich bei Bühring, der mich
in der Philatelie förderte und nicht selten einem Preisnachlass
stattgab. Gegen Ende der Reichsmarkzeit 1948 suchten Schüler
gegen das Interesse der draußen mit Gepäckkarre
wartenden Hoteldiener den ankommenden Bade- und sonstigen Gästen
schon gleich an der Sperre zum Bahnsteig das Koffertragen zu übernehmen. Gelang
es, so steigerte sich unser Einkommen pro Gang zum jeweiligen Hotel innerhalb kurzer Zeit von zwei
oder fünf Mark bis hin zu eintausend. Für eintausend
Reichsmark konnte man sich aber kaum noch etwas kaufen. Auch
die Geschäftsläden waren ausgeräumt, bis sie sogleich
nach der D-Mark wieder gefüllt wurden, und das,
wie wir es noch nie zuvor gesehen hatten. Im Dezember 1948 bot
das Kaufhaus H.B.Jensen eine Weihnachtsausstellung an, die uns
Neun-, Zehn-, Elf- Undsoweiterjährigen den Atem verschlug.
Leider wurde schon 18 Uhr die Eingangstür geschlossen.
Das Alter verklärt
oder versteinert, schrieb vor langen Jahren Marie von Ebner-Eschenbach,
aber es gibt ja viele Stufen dazwischen, so auch durch den
Leserbrief, dessen Text Sorge erkennen lässt und weder
das eine Extrem noch das andere repräsentiert. Der Text des alten
Lister Freundes wird wohl in den 1960er Jahren entstanden sein. Die Namen derer, die,
wie einst der Lister Bürgermeister Dr. Hisam, der an Spätfolgen seines Tuns
nicht interessiert war, sondern allein am pekuniären Vorteil... die Namen derer also
können mehrfach genannt werden. Man gab jenen Männern, die ohne jede
Empfindungsbindung an Sylter Geschichte, Eigenart, Kultur, Geistesleben, Landschaft und
Heimattreue waren, auch wiederholt die Erlaubnis, ihre unsozialen, egoistischen, bis ins
Kriminelle gehenden Vorhaben als verlockende Auftragsprojekte für Architektenbüros
und Handwerks- und Maklerfirmen umzusetzen. Das geschah im offiziellen wie auch im privaten
Bereich, oft zum Nachteil für einheimische Familien und deren Nachfolger, und oft zum
Nachteil der örtlichen Bürgergemeinschaft. Paradigmenwechsel und Wertewandel beeinflussen
zwar nicht nur auf Sylt das bürgerliche, somit das kommunalpolitische Geistesleben, aber
es gibt in unserem Land doch noch Küstenorte, in denen die Lokalgeschichtlichkeit der
Architektur, der Kultur, der Landschaft und der Heimatverbundenheit die Nr. 1 bedeutet als
Grundlage kommunalpolitischer Entscheidungen.