In den Nachkriegsjahren
sah man mehrfach das rote Schild. Sich vorzustellen, dass man Deutschland trotz aller
Nazi-Verbrechen zerteilt, fiel schwer. Heinz Reinefarth war Westerlands Bürgermeister
und niemand wusste von seinem verbrecherischen Nazi-Treiben als
Generalleutnant der Waffen-SS und der Polizei im Warschauer Ghetto. Westerland
zeichnete sich durch seine betonklotzfreie Innenstadt aus und
durch eine Promenade, in deren Musikpavillon ein Landesorchester
sommersüber seriöse Musik erklingen ließ. Im
Rathausgebäude der Stadt befand sich auch ein Roulette-
und Baccara-Casino. Während der britischen Besatzungsmacht
war es ein Haus für deren Offiziere. Einer war Eric Daly,
für den der Vater einen aufklappbaren Drei-Etagen-Nähkasten
mit künstlerischer Intarsienarbeit tischlerte, was dazu
führte, dass Schokolade, Blätterteigkuchen, Zigaretten,
Tabak und echter Kaffee ins Haus kamen normal überhaupt
nicht zu haben, und auch, dass Nachfragen von britischer Offiziersseite
folgten. Vater war über den Krieg auf Sylt geblieben als Soldat in einer
Batterie der Heeresflugabwehrtruppe auf dem Listland. Er kannte die Tücken des Wattenmeeres,
war nicht nur Hauptgefreiter, sondern auch Hauptbegleiter des segelversessenen Kommandanten. Dieser
beförderte ihn nicht zum Frontdienst. Er wollte ihn ganz
für sich behalten. Am 9. Mai 1945 war Vater wieder zu Hause.
Unsere spätere
Mutter (stehend rechts) brachte den Vater, dann uns Kinder in diese
große Wenningstedter Familie. Ganz links Großmutter Christine (1888-1962),
dann Matrosensohn Manfred (1922-1983) und Großvater Christopher
Nyholm (1888-1959), herzensguter Däne aus Drønninglund, der eine Gärtnerei
betrieb und auf Sylt wohlbekannt und beliebt war. Neben ihm seine
Schwiegereltern Wendt aus Kiel. Urgroßvater Nis Georg Wendt (1863-1946) war als Leiter
des neuen Wenningstedter Postamts nach Sylt versetzt worden. Unser Großvater,
sein Schwiegersohn, blieb unbeanstandet Däne, aber die Nazi-Behörde forderte ihn auf, Deutscher
zu werden. Erst im vorletzten Kriegsjahr entschied Christopher Nyholm
sich in Sorge vor einsetzenden Repressalien dafür. Aus diesem Grunde
verringerte sich sein Reichsmark-Barvermögen, wie für alle deutschen
Staatsbürger auch, im Zuge der Währungsreform 1948
um ein Vielfaches. Als dänischer Staatsbürger wäre
es 1:1 in die D-Mark umgesetzt worden. Der Gärtnerei war ein Ladengeschäft
angeschlossen, Obst, Gemüse und Südfrüchte (die Südfrüchte fielen in
den Kriegsjahren aus). Großmutter Christine herrschte über das
Ladengeschäft und unerbittlich über die beste Qualität dessen, was darin zu verkaufen war.
Oben rechts Mittelschul- klassenkameradin Inge Stolley,
Kampen.
Dem Elterngrundstück
an der Gronau-, jetzt Rote-Kreuz-Straße folgten nordwärts
Wiesen- und Heideflächen bis hin zur Marinesiedlung. Dem
Areal des Luftwaffenlazaretts, nach dem Kriege Nordsee-Klinik, folgte
nordwärts ein ausgedehntes Heideland bis hin zu den damals ersten Wenningstedter Häusern.
Die Kurhaus-Ansicht, später Rathaus (westlich), Theatersaal (östlich) und ein Spielkasino
dazwischen, ist aus einem Fenster des ehemaligen Hotels Zum Deutschen
Kaiser gewonnen, später z. T. Haus Wiesbaden, das mit Flüchtlingsfamilien
aus den deutschen Ostgebieten belegt war. Unser Vater tischlerte in seiner
kleinen Werkstatt, die, leicht westlich versetzt, neben dem elterlichen Wohnhaus erstellt worden war.
1948 gründete er als ein von seinen Lehrlingen und Gesellen sehr geschätzter
Bau- und Möbeltischlermeister sein Unternehmen zunächst
am Wohnhaus, wozu die kleine Werkstatt vergrößert worden war,
dann in Rantum, dann in einem Industriegebiet in Westerland. Viele inselweit
erstellte Bauten zeugen von der anerkannten Qualität der Inneneinrichtungen
und Außenarbeiten. Drei seiner vier Söhne erlernten bei
ihm das Tischlerhandwerk und wurden begabte Bau- und Möbeltischlermeister.
Unsere Eltern zeichnete die Gabe aus, ihren fünf Kindern Selbstentfaltung
und Selbstentwicklung zu gewähren und sie dabei zu unterstützen. Das aber
ohne Duldung einer Grenzüberschreitung im gutem Benehmen bei angemessener
Bescheidenheit. Im Haus wohnte auch der Geist der Kunst und der Musen.
Sandige
Dorfstraße die später asphaltierte Hauptstraße,
Blick westlich in Richtung Rotes Kliff. Links das Wohnhaus mit weitflächiger
Gärtnerei der Großeltern Nyholm. Rechts das Friesenhaus
Krauschner. Im weißen Haus westlich nebenan wohnte von 1945 bis
1953 die Modefotografin Sonja Georgi (1915-1957) mit Sohn Michael
und Tochter Sybille.