<Aus dem Privat-ArchivOben links: Teil der „Flüchtlingsbaracken“ in der Nachkriegszeit östlich der Nordmarkstraße, der größere Teil liegt westlich. Die Rote-Kreuzstraße ist noch wenig befahren. Unten links das Haus Schollenbruch an der Fahnenstange, davor Lebensmittelgeschäft Niko Nissen. Unten rechts unser Nachbarhaus zum Osten, Dachdeckerei Lorenz Gutschmidt, in dem schon früh ein Fernsehgerät stand und draußen Antennenmast mit Dipol-Antenne. Gutschmidts luden die Eltern mitunter zu einer Schwarzweißoper oder einem solchen Konzert ein. Kommentar Lorenz Gutschmidts zur Nahaufnahme der Sängerin Erna Sack: „De hett jo gor keen Tähn!", Emilie Gutschmidts Beitrag während hingebungsvollen Zuhörens eines „bei Schröter“ frisch und neu erstandenen Langspielschallplattenkonzerts: „Kost' 33 Mark!“. Für zwei Wochen half ich als Handlanger den Dachdeckergesellen bei ihrer Arbeit, Stundenlohn 1 Mark 75. So auch zur Neu-Beteerung der St. Nicolai-Kirchturmdachpappe, maximal 42 Meter Höhe. Rund herum, flächenweise vom Gesellen Erwin abwärts zu fieren, sollte ich das machen, Ausstiegsqual unter der Turmspitze mit Teerpott und Quast durch ein enges Öffnungsquadrat, Füße zuerst, dann Sitz auf einem kurzen, an zwei Tampen links und rechts befestigten Außensitzbrett. Das Brett rauschte mit mir ab in die Tiefe.

Nach fünf Beschleunigungsmetern war mein Schrei durch Erwins kraftvolles Zupacken an den über die Lukenkante laufenden Tauen erwürgt und er konnte nachholen, was er versäumt hatte: Die Tampen funktionsgerecht innen zu befestigen. Auf dem Flugplatz waren Rohbau-Hangars einzudecken. 15 Meter über dem Erdboden jonglierten zwei Gesellen und ich Handlanger frei über weit gespannte, schmale, voneinander 1½ Meter entfernte, leicht gebogene Traversen, um über zwei zusammengesteckte Leiter hochgetragenes Material auf querliegende Bretter abzulegen. In Balance bleiben war sehr geboten. Absicherungsgurte? Gab es nicht. Kannte keiner.

Aus dem Privat-ArchivDas 1936 einzugsfertige Elternhaus als optisch einfaches Wohnhaus zu bezeichnen beweist Ahnungslosigkeit von baulichen, finanziellen, gesellschaflichen Zu- und Umständen jener Zeit. Im Haus wohnten nun Eltern, Großvater, bald fünf Kinder, drei Pflichtjahrmädchen jeweils für ein Jahr (Lilo Ploog, Ellen Skands, Olga), und über Jahrzehnte hinweg Bade- resp. Kurgastfamilien, diese aber nicht, als Sylt von 1939 bis 1945 Sperrgebiet war. Offiziere der britischen Besatzungsjahre wurden zu Freunden wie unten links Eric Daly aus Harrow, der später mit seiner Familie nach Australien auswanderte. – Das Strandniveau hob sich bei länger dauerndem Ostwind, wenn die Wellchen unablässig Sand heranschoben, und senkte sich in Weststürmen, wenn mächtig auslaufende Brandungsseen die wertvollen Körnchen schneller zurück wischten als sie sich hatten ansammeln können. Dann erlaubte das Tiefniveau einen Spaziergang auf dem Steinweg am Fuß der langen Promenade. Gefährlich wurden Orkanstürme mit ihrer Achtmeterbrandungshöhe. Nicht nur einmal wurde das Bauwerk der Strandpromenade manchmal auch erheblich zerstört.

Alte PostkarteIm April 1953 brachen die Brandungsseen viele Meter in die Nord-Westerländer Dünenkette ein und halbierten sie in ganzer Länge. Sie sorgten für den Absturz der Seenotrettungsstation mit ihrer Drahtseilwinde für die Rettungssegelboote. Deren Schuppen ist unten links nordseewasser- umflossen zu erkennen. Rechts sieht man noch einmal die Promenadenmauer mit dem nördlich gelegenen „Strandhäuschen“, das mal als Geschäftsladen, mal als kleines Café fungierte. Da vieles nicht mehr existiert, soll an dieser Stelle auch an einen Briefmarkenhändler erinnert werden mit seinem Geschäftsladen an der Friedrichstraße: Albert Bühring, ein sympathischer Mann, dem eine wohltuende Ruhe innewohnte. Sobald durch meine vor- oder nachschulische Hilfsarbeit bei Drogerie Wilke, Bäcker Jacobsen oder meinem Wenningstedter Großvater ein paar Mark verdient waren, fand man mich bei Bühring, der mich in der Philatelie förderte und nicht selten einem Preisnachlass stattgab. Gegen Ende der Reichsmarkzeit 1948 suchten Schüler gegen das Interesse der draußen mit Gepäckkarre wartenden Hoteldiener den ankommenden Bade- und sonstigen Gästen schon gleich an der Sperre zum Bahnsteig das Koffertragen zu übernehmen. Gelang es, so steigerte sich unser Einkommen pro Gang zum jeweiligen Hotel innerhalb kurzer Zeit von zwei oder fünf Mark bis hin zu eintausend. Für eintausend Reichsmark konnte man sich aber kaum noch etwas kaufen. Auch die Geschäftsläden waren ausgeräumt, bis sie sogleich „nach der D-Mark“ wieder gefüllt wurden, und das, wie wir es noch nie zuvor gesehen hatten. Im Dezember 1948 bot das Kaufhaus H.B.Jensen eine Weihnachtsausstellung an, die uns Neun-, Zehn-, Elf- Undsoweiterjährigen den Atem verschlug. Leider wurde schon 18 Uhr die Eingangstür geschlossen.

Aus dem Privat-ArchivDas Alter verklärt oder versteinert, schrieb vor langen Jahren Marie von Ebner-Eschenbach, aber es gibt ja viele Stufen dazwischen, so auch durch den Leserbrief, dessen Text Sorge erkennen lässt und weder das eine Extrem noch das andere repräsentiert. Der Text des alten Lister Freundes wird wohl in den 1960er Jahren entstanden sein. Die Namen derer, die, wie einst der Lister Bürgermeister Dr. Hisam, der an Spätfolgen seines Tuns nicht interessiert war, sondern allein am pekuniären Vorteil... die Namen derer also können mehrfach genannt werden. Man gab jenen Männern, die ohne jede Empfindungsbindung an Sylter Geschichte, Eigenart, Kultur, Geistesleben, Landschaft und Heimattreue waren, auch wiederholt die Erlaubnis, ihre unsozialen, egoistischen, bis ins Kriminelle gehenden Vorhaben als verlockende Auftragsprojekte für Architektenbüros und Handwerks- und Maklerfirmen umzusetzen. Das geschah im offiziellen wie auch im privaten Bereich, oft zum Nachteil für einheimische Familien und deren Nachfolger, und oft zum Nachteil der örtlichen Bürgergemeinschaft. Paradigmenwechsel und Wertewandel beeinflussen zwar nicht nur auf Sylt das bürgerliche, somit das kommunalpolitische Geistesleben, aber es gibt in unserem Land doch noch Küstenorte, in denen die Lokalgeschichtlichkeit der Architektur, der Kultur, der Landschaft und der Heimatverbundenheit die Nr. 1 bedeutet als Grundlage kommunalpolitischer Entscheidungen.