Handelsseefahrt 1954 bis 1959

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

D. „Blidum“Auf dem ölbetriebenen Dampfer „BLIDUM“ war ich – zusammen mit Peter Holm aus Remmels – Decksjunge (Schiffsjunge, „Moses“) von Ende 1954 bis Mitte 1955. Kapitän Oltmann beförderte mich (auf dem Dienstzeugnis schriftlich vollzogen) zum Jungmann. Die „Blidum“ war mein erstes Zerssen-Schiff. Vorher fuhr ich auf zwei kleinen Frachtschiffen („Kümos“): Auf der „Gorch Fock“ aus Finkenwerder und auf der „Dora“ aus Hamburg. Zwischenzeitlich absolvierte ich eine dreimonatige Schiffsjungenvorausbildung auf dem Priwall in Lübeck-Travemünde. Eine preußisch-orientierte Rekrutendrangsal auf dem wehrmachtlichen Exerzierplatz vor dem Lehrgebäude wurde zwar nicht zu hundert Prozent durchgeführt, konnte sich aber in guter Annäherung daran messen lassen.

MS Gorch FockAuf der „Gorch Fock“ war H. Lütje Kapitän, Steuermann war A. Michnick, die Mannschaft bestand aus Martin Buck aus Finkenwerder, Sven Hansen aus Kampen/Sylt, Günther Rennau und mir (Kaptein un fiev Lüüd). Ich hatte in der Kombüse für die Besatzung zu kochen und hatte niemals zuvor an einem Küchenherd gestanden. Gleich am ersten Tag meines unvorhergesehenen Smutje-Daseins brannte mir die Unterdeckkombüse zwar nicht vollständig aus, doch die an der Herd-Rückseite weißlackierte und mit zwei Bullaugen versehene Kombüsenwand färbte sich blasenwerfend tiefbraun bis schwarz. Entzündetes Fett spritzte an den Rändern zweier mit Butter, Speck und Bratkartoffeln gefüllten Großpfannen hervor, hohe Stichflammen schossen aus den Öffnungsritzen der Plattenringe des kohle- und holzbefeuerten Herdes und schlugen zischend in die Höhe. Nahebei, draußen an Deck, hatte Matrose Martin das Geschehen wahrgenommen. Er eilte mit einem Deckwaschschlauch herunter und löschte den Brand mit trübem Hafenwasser. – Man schipperte mich zwar durch Nord- und Ostsee, aber die Seefahrt mit Küchendienst, Backschaft und Kammersäubern zu verbringen, ohne eine seemännische Arbeit zugewiesen zu bekommen, führte dazu, dass ich nach wenigen Wochen in Cuhaven abmusterte. Sven Hansen war mir wohlgesonnen, ein Jungmann. Das bedeutet, dass er noch ohne jeden Einfluss auf den Matrosen oder gar den Steuermann war, wodurch meine Situation hätte verbessert werden können.

KüstenmotorschiffWir fuhren Hamburg- Finkenwerder – Struer – Lillesand – Amsterdam – Rostock – Wismar – Vallvik – Norrsundet – Cuxhaven. Struer am dänischen Limfjord war mein erster ausländischer Ort. In einem Speiselokal erzählte ich drei jungen Leuten, dass mein Großvater mütterlicherseits Däne sei und aus Drönninglund stamme. So öffneten sie sich mir und wollten Weiteres wissen. Nazizeit und Besetzung Dänemarks durch die deutsche Wehrmacht lagen nicht weit zurück, es schien noch Jahre zu dauern, bis deutschen Staatsbürgern in Dänemark wieder unvoreingenommen begegnet werden würde.
Einige Schiffsdaten:
MS GORCH FOCK, DJYH-DGMD, September/November 1938 Büsching & Rosemeier, Minden (165) 198/85 561/241 - 36,32-6,94-2,30-2,50 m 1 Mot. HD 4Te 4x285/420 150 (375) Mot. Werke Mannheim AG, Mannh. 6 264/125 748/355 420/390/388 43, 42-6,98-2,80-2,95 m (U+V Mai 1950 Sietas) 1 Mot. 2Te 4x230/400 280 1965/71 Alpha Diesel AS, Fredrikshavn (24.11.1938) „Gorch Fock“ H. Lütje, Hamburg (Ge). 21.11.1955 H. Brümmer. 13.5.1965 W. Brey. ins Ausland verkauft und Rückkauf (28.12.1982) Gerda Patek, Hamburg (Ge.). 14.3.1983 „Orpheus“.

MS "Dora" in Holtenau.Auf „Dora“ war H. Behrens Kapitän, G. Hagenah (Wischhafen) war Steuermann, die Mannschaft bestand aus Kurt Merker, Horst .., Claus Blumenfeld und mir. Wieder hatte ich für die Leute an Bord zu kochen. Wir fuhren Hamburg – Flensburg – Hammerhavn (Bornholm) – Rendsburg – Nakskov – Oskarshamn – Elmshorn – Holtenau – Hammerhavn – Kiel. Im „Kiel-Kanal“ sollte ich – zum ersten Mal überhaupt und nachts – das Ruder übernehmen, weil den Steuermann ein gewisses Bedürfnis plagte. Im Wirbel eines bereits nah entgegenkommenden, nun vorbeirauschenden Großdampfers scherte mir das Kümo aus, nahm Kurs Richtung gegenüberliegende Kanalböschung, ich das Ruderrad nach Steuerbord gekurbelt, und lautes Knirschen und Kreischen bewies Basaltsteinberührung. Wasserstrahleinbruch vorne, unter der Back im Waschhock. Provisorisches Dichten mit Werg, Weiterfahrt nach Holtenau, dort festmachen. Hammerschläge trieben Zement in drei Löcher, weiter ging’s nach Bornholm. Schimpfkanonade des Kapitäns gegen mich statt gegen Steuermann. Das reichte mir. Meine Abmusterung auf der Rücktour in Kiel.

Im Juli 2000 ergab sich ein Kontakt via Internet mit Burkhard Bogenschneider aus Lübeck [bbogenschneider@t-online.de].
Er schreibt:
...ja, meine Wenigkeit war auch auf der „Dora“ und zwar im Jahre 1961 für fast 6 Monate. Es war der Start meiner „Seefahrerkarriere“ – leider habe ich kein Bildmaterial von diesem Klütenewer... Können Sie mal schauen, ob die DGGF und BRT 140.79 vielleicht übereinstimmen? Laut Foto auf Ihrer Page müsste es das Schiff sein. Mein damaliger Reeder und Kapitän kam allerdings aus Rendsburg, hieß Eggert Kolb, Steuermann war der Sohn Uwe Kolb. Die Zerssen-Schiffe im Kanal – davon träumte ich auf der „Dora“ damals.
Ich schrieb zurück:
„Meine“ DORA hatte DJJG und 549,7 BRT (was mir allerdings hoch vorkommt, aber so steht's im Seefahrtbuch). Offenbar handelt es sich um zwei DORAs. Es muss sich ja auch nicht immer um dieselbe Frau handeln bei zwei Männern. Aber schön wär's gewesen, wenn wir denselben Kümo gefahren hätten. Heimathafen war Hamburg. Zu meiner Zeit (schon 1954) war der Eigner ein Behrens, der Stüürmann war ein Hagenah aus Wischhafen. Ich war Moses (2. Schiff damals, vorher GROCH FOCK aus Finkenwerder).
Darauf die Antwort:
Habe laut meinen Recherchen schon vor längerer Zeit rausbekommen, dass die MS Dora gegen Ende der 50er Jahre von besagtem Eggert Kolb, Rendsburg, gekauft wurde – und durch Werftumbauten etwas verkleinert worden ist. Ebenfalls sollen auf dem Vordeck der DORA einige Umbauten vorgenommen worden sein. So z.B. der Niedergang, der seitlich versetzt stand, auf die Backmitte gesetzt worden ist, und die Anzahl der Kojen auf zwei, linkerhand beim Treppenniedergang, reduziert wurde. Und nur eine Toilette hinten rechts vorhanden war, wobei das Kühlwasser gleichzeitig als Spülung funktionierte, naja, fast... Und laut Lloyds-Schiffsregister gab es zu dieser Zeit nur einen Kümo auf den Namen „Dora“ mit Heimathafen Hamburg! Alle anderen Eigenschaften stimmten noch überein. Es wurden Rufzeichen und BRT ebenfalls erneuert, wobei der Eintrag der BRT verwechselt worden ist. Denn 549 t Ladekapazität hatte die DORA zu meiner Zeit, das war mir aus den ganzen Abläufen mit der Befrachtung noch im Kopf. Das Schiff wurde nach dem Umbau so konstruiert, dass es als kleines Familienunternehmen laufen konnte. Sprich: Kapitän, Steuermann, Köchin (Frau) und zwei Morphies...
So, das wären die für Sie neusten Fakten, die ich allerdings schon etwas länger in den Unterlagen habe. Das Bild auf Ihrer Page kam mir auch gleich irgendwie bekannt vor. ...

"Dora" auf BornholmAuf der "Passat"In Kiel hatte ich also zugesehen, dass ich Land gewann. Das hatte auch einen weiteren Grund. Er lag im Charakter des Steuermanns, der sich nicht nur mir gegenüber feindlich benahm, auch gegenüber Anfängern aus der Mannschaft generell. Das reichte bis hin zu aggressiven Tätlichkeiten und zu dümmlich herabsetzenden Wortbeiträgen. Immer schon ging mir so etwas gegen die Hutschnur. Ich arbeitete dann auf Sylt in diversen Bereichen vom Dachdeckerhandlanger über den Straßenbau bis hin zum Frachterentladen im Hafen von Hörnum, aber der Wunsch, in die Welt zu fahren, um die Inselenge zu verlassen, verließ mich nicht. Nach dreimonatiger Seemannsausbildung auf dem Priwall (Leitung Kapitän Heuer, Erster Ausbildungsoffizier G. Dietrich), eingeschlossen die Handwerksausbildung an Bord der „Passat“ – man gewann beste Einblicke in das althergebrachte seemännische Leben auf einem Tiefwassersegler – fand ich auf dem ölbetriebenen Dampfer „Blidum“ den ersten positiven Zugang zu meinem gewünschten zukünftigen Beruf. Leider fuhren wir nicht mit dem Großsegler „Passat“ auf die offene See, sondern übten an Bord, festgemacht an den Dalben.

In der vorderen RoyalrahSo waren die Monate September, Oktober, Dezember 1954 die Monate meiner Unterkunft und Ausbildung auf dem Priwall. Einige Fischer aus Travemünde verzogen geringschätzig die Miene, wenn man ihnen in seiner Ausbildungsuniform mit flottem Käppi auf dem Haarschopf begegnete. Im September galt totale Ausgangssperre. Die Jungs sollten sich an die Abhängigkeit von einer Schiffsbesatzung gewöhnen. Im Oktober war nur sonntags das gesamte Priwallgelände erlaubt. Die Grenze zur DDR befand sich nur ein paar Katzensprünge vom Ausbildungsgebäude entfernt. Das Dassower See-Ufer gehörte ringsherum zur DDR. Machten wir auf dem See Rettungsboot-Übungen, so konnte man sich eines uns versteckt beobachtenden DDR-Grenzsoldaten gewiss sein. Sie wussten sicherlich, dass wir keinen paramilitärischen Unsinn trieben. Ostseeseitig stand ein DDR-Wachtturm. Man erkannte auf der oberen Plattform ständig westlich gerichtete Ferngläser – wohl auch, weil bis unmittelbar zum Grenzzaun, der auch ins Wasser gezogen war, nackt gebadet wurde. Per Travefähre nach Travemünde und zurück durfte man erst im dritten Monat und ebenfalls nur sonntags. Unter der Woche herrschten außerhalb des Lehr- und Lernprogramms auch Fingernägel vorzeigen, Spindkontrolle, Pflicht zum Gehorsam, Paradedisziplin, Kartoffelberge schälen für 100 Mann und ähnliche Scherze.

Auf der „Blidum“ war Mackeprang (Fehmarn), später Oltmann Kapitän, die beiden Offiziere waren Krüger und Gardthausen. Die drei Schiffsingenieure hießen Hobbie, Wessel und Wilkens. Als Bootsmann fuhr Eckart Michel aus Schleswig, Decksleute waren Matrosen Horst Zackschewski, Hubert Croissier, Egon Naeve, Leichtmatrosen Rudolf Schiemann und Peter Clausen, Jungmänner Horst Fuhlendorf, Peter Häcker, später Heino Karls, und Schiffsjungen waren Peter Holm aus Remmels bei Hohenwestedt und ich. Zu kochen brauchte ich nicht mehr, dafür war Smutje Hermann Holling zuständig. Der Kochsjunge hieß Helmuth ..., als Bäcker fuhr Alfred Bradt. Chefsteward mittschiffs war Adolf Krogh, ein angenehmer Mensch, der griechisch sprechen konnte, und sein Steward war Werner Fick aus Buxtehude. In der Maschine arbeiteten Jürgen Mumm aus Fockbek, Julius Steinke (unser Bommerlunderkönig) und Bernhard Genz aus Owschlag. Der Funker hieß Bormann.

"Blidum"-Crew (Teil der Mannschaft)Wir legten Heilig Abend 1954 in Hamburg bei Orkanstärke ab (blieben einige Stunden vor Brunsbüttel auf Reede mit hoch auflaufender Dünung, dann ging es mitternachts in die tobende Schwärze – ohne Weihnachtsgefühl, vom Weihnachtsessen gar nicht erst zu reden). Weihnachtslieder haben wir nicht gesungen. Man musste Sorge dafür tragen, dass man auf der Nordsee nicht aus seiner Koje geschleudert wurde.
Reisen:
Hamburg – Istanbul – Piräus (und Athen) – Saloniki – Stratoni – Patras – Algier – Rotterdam – Hamburg – Bremen – Rotterdam – Antwerpen – Algier – Patras – Piräus – Saloniki – Istanbul – Izmir – Algier – Rotterdam – Wismar – Hamburg – Bremen – Antwerpen – Algier – Patras – Piräus (und Athen) – Volos – Saloniki – Istanbul – Kavalla – Stratoni – Volos (wo wir ein mittelstarkes Erdbeben erlebten und vorzeitig trotz Teilladung für Volos ausliefen) – Piräus – Kalamata – Algier – Amsterdam – Antwerpen – Hamburg. Hier musterte ich im Juni 1955 ab.
Einige Schiffsdaten:
SS BLIDUM DJTK 11.3./15.7.1950 Howaldtswerke AG-Werk Kiel, Kiel (918) 1689/853 4785/2417 3403/3100/3051 91,01-13,24-4,24-5,45/7,90 m 2x2fE + A 2x370+2x800/800 1200 (100) 2 16,0 310 Werft 23 „Blidum“ Nordfriesische Reed. GmbH (Zerssen & Co.), Rendsburg (Ge.). Das Schiff wurde noch nach den Bestimmungen des Potsdamer Abkommen erbaut und nach dem Stapellauf um 10 Meter verlängert. 1963 „Lilas“ Jonas Shpg. Co., Monrovia (Li.). 5.9.1969 an Conakry von Las Palmas mit Abbruchmaterial, 9.9. Ausbruch eines Brandes im Kesselraum. Später nach Cadiz geschleppt, hier kondemniert und zum Abbruch verkauft. 24.12.1969 im Schlepp an Puerto de Santa Maria zum Abbruch bei J.M. Aristain Madrid SA.