Ernst
Penzoldt schreibt in seiner Ansichtskarte aus Kampen:
Was
doch die Leute für ein Getue mit Kampen haben! Wenn sie
das Wort Kampen sagen, bekommen ihre Augen einen so schwärmerischen,
sehnsüchtig-verklärten Ausdruck, dass man überzeugt
ist: Kampen muss ein Paradies sein. ... Ich glaube, der sagenhafte
Ruf dieses Ortes beruht auf reiner Einbildung. Kampen besteht
zum größten Teil aus nichts als Luft, Wasser und Sand.
Bäume, die sonst einen wesentlichen Bestandteil vernünftiger
Landschaften ausmachen, gibt es hier fast gar nicht, und die
wenigen sind vom Winde verweht, haben nur eine halbe
Krone und sehen sehr eilig, sozusagen fortstrebend aus. Wenn
ich behauptete, Kampen bestehe größtenteils aus Luft,
so hätte ich genauer sagen müssen: aus Wind. Es ist
mir ein Rätsel, dass von dem Sand, sehr feinem Sand übrigens,
trotz des jahrhundertelang fast unaufhörlich wehenden Windes
noch so viel übrig geblieben ist, zahlenmäßig
ungefähr noch genausoviel wie vor zehn Jahren, als ich das
erstemal hier war. Natürlich: das Meer ist immer etwas Schönes,
Erhabenes, aber es gibt schließlich genug davon auf der
ganzen Welt, wobei es mich, wenn ich den Globus so betrachte,
stets gewundert hat, dass es nicht von der Erde abtropft ins
All. ... Es gibt auch Häuser in Kampen, strohgedeckte, zottige,
aus bordeauxroten Backsteinen gebaut. In der Dämmerung könnte
man das Dorf für eine weidende Mammutherde halten. Es ist
ein wahres Glück, dass ich mich ein wenig auf Tiere verstehe
und das hiesige Geflügel bei Namen nennen kann: die schwarz-weiß-roten
Austernfischer, die so schlau dreinblicken und wie kleine nationalistische
Störche aussehen, die bunten Fuchsgänse, Goldregenpfeifer,
Seeschwalben, Silbermöwen und wie diese unterhaltenden,
anmutig fliegenden Tiere alle heißen. Man würde sich
übrigens kein bisschen wundern, wenn einem bei einer Wanderung
durch die Dünen plötzlich ein Rudel Gazellen, Löwen
oder Giraffen begegnen würde. Zur Zeit blühen die Rosenhecken,
weiß und rot, und die schnittlauchähnlichen Wattnelken
in zierlich-steifer Grazie und, so reizend wie gefährlich
aussehend: das Knabenkraut. Man sieht, ich versuche alles anzuführen,
was den angeblichen Zauber Kampens retten könnte, dem auch
ich mich, scheints, nicht völlig entziehen kann,
obwohl ich nicht zu sagen vermöchte, worin diese Verzauberung
eigentlich besteht. Weil der Himmel hier größer, viel
größer ist als irgendwo sonst auf der Welt? Weil das
Meer und das Watt alle Farben meines Aquarellfarbkastens annehmen
können, vom unheimlichen, fast schwarzen Indigo bis zum
durchsichtigsten, wangenzartesten Rosa, in alle Metalle, Seidenstoffe
und Edelsteine sich verwandeln können? Oder weil man hier
wie nirgends so ganz genau weiß, welche paar Menschen man
hier haben möchte, als wäre dieser seltsame Ort der
eigentliche natürliche Maßstab für menschliche
Sympathie, die, ach, so wählerisch und oft so schrecklich
ungerecht ist?