Ein Sylt-Tag

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese und die folgenden 4 Seiten beziehen sich zwar auf einen längst vergangenen Erlebnistag preisausgezeichneter Schülerinnen und Schüler, aber ich möchte das Geschehen an dieser Stelle auch weiterhin am Leben erhalten, denn es enthält allerlei Informationen über Sylt, die ich nach Recherchen und aus eigener Kenntnis ganz und gar aufgeschlossenen jungen Menschen im Verlauf dieses Tages nahebringen durfte und, soweit möglich, auch konnte.

Sylt 1240Programm
 
Busfahrt 7.45 ab Husum (ZOB) nach Niebüll.
Über den Hindenburgdamm.
Sylt-Einführung.
9.40 Rundfahrt Alt-/Neu-Westerland.
Spaziergang durch City und Promenade.
Fahrt zur Himmelsleiter und Aufstieg.
11.30 Nach Nösse zum Mittagessen.
13.00 Wanderung zum Morsum-Kliff.
13.45 Fahrt nach Keitum.
Kleiner Spaziergang.
14.30 Fahrt nach Wenningstedt.
Dorfteich.
Altes Witthüs.
15.20 In den Denghoog.
Erläuterungen extern.
16.10 Fahrt über Braderup nach Kampen.
16.30 Fahrt nach List.
Ggf. auf die Kletterdüne.
An den Wanderdünen vorbei zurück.
17.20 Fahrt nach Westerland ins »Kiek in«.
Kleines Abendbuffet.
18.45 Fahrt nach Westerland-Bahnhof zur Busverladung.
Über den Hindenburgdamm zurück auf das Festland.
Diskussionen/Fragen.
Ggf. Rezitation/Lesung.
Zurück nach Husum (ZOB).
Ende ca. 20.30.
 
 
 

 
Sylt-Erlebnistag am 2. Juni 1994 mit den Landessiegern des Lesewettbewerbes »Schölers leest Platt«
(18. April 1994, Kieler Schloss) und Begleitpersonen.
Ganz schön schon zugebaut, 1972, „üüs söl'ring Lön'“.
 
 
 
 
 
 
 

Unterwegs
Nun sitzen wir in diesem Bus und sind auf dem Wege zur Insel Sylt. Mit Sylt, wie ja mit anderen Landschaften auch, kann man sehr verhaftet sein. Sylt ist 38 km lang, an einer dicken Stelle 12 km breit, an anderen Stellen zwei bis drei km, an vielen dünnen Stellen einige hundert Meter. Rundherum, in und auf den Stränden am Wasser und in der Dünenwelt, befinden sich Aber- und Abermilliarden Sandkörner. Das Wasser der Nordsee und des Wattenmeeres ist nur durch einen künstlichen, 11 km langen Eisenbahndamm unterbrochen, über den hinweg wir heute mitsamt unserem Bus auf dieses Eiland gebracht werden. Es gibt vieles auf Sylt, was sich, wenn auch nur in Millionen, in großen Zahlen ausdrücken lässt. So gibt es etliche Millionäre auf Sylt, wenigstens im Sommer. Es gibt zum Beispiel kaum noch ein Haus, das unter eine Million Mark auf Sylt zu haben ist, selbst wenn es nur zu 30% seinen eigentlichen Wert hat.
Wenn in Kampen auf der Heide, und sofern diese sich nicht im Naturschutzgebiet befindet, ein leeres Grundstück auch nur fast 1.000 qm groß ist, so kann man doch eine Million Markstücke dafür verlangen und vor allem ohne weiteres bekommen. In Westerland allein gibt es über drei Millionen bezahlte Übernachtungen pro Jahr. Die Landbrüche in Kampen am Roten Kliff oder diejenigen am Morsum-Kliff, das wir besichtigen wollen, zeigen viele Millionen Jahre in die erdgeschichtliche Vergangenheit zurück. Wir fahren also auf eine millionenträchtige Insel, die – für mich – vor allem meine Heimatinsel ist, das ist mir das wichtigste dabei. Vielleicht haben sich schon mehr als eine Million Menschen diese Insel bisher angesehen und der allergrößte Teil ist immer wieder her gekommen. Man sagt, dass derjenige, der hier drei Wochen im Winter überstanden hat, sich für drei Millionen Wochen nicht mehr von der Insel wird trennen können.
Allerdings – Millionen von unterschiedlichen Schmetterlingsarten gibt es nun nicht auf der Insel, das sind nur 589, jedenfalls waren es einmal so viele; wer weiß, ob die noch heute allesamt existieren. Denn Millionen von Kummergedanken machen sich viele ehrbare und sogar auch ernsthafte Menschen, damit die überzahlreichen Besucher, und vor allem die Spekulanten, unsere schöne Insel nicht noch ganz und gar zugrunde richten. Dieses Eiland hat nämlich vieles mehr zu bieten als das, was sich so trefflich mit der Zahl Million in irgendeinen dummen Zusammenhang bringen lässt.
Um aber das alles auch nur annäherungsweise zu erläutern, muss ich auf Daten, auf Fakten und auf spezielle Ausdrücke zurückgreifen. Ist aber überhaupt nicht schlimm, denn ich werde wohl dabei nicht übertreiben.
Nun soll ja dieser Tag ein Erlebnistag sein und keine Fortsetzung des normalen Schulunterrichts. Ich kann versichern, dass das, was ich von Sylt berichten will, den Rahmen des normalen Schulunterrichts sprengen wird. Ich hoffe, dass auch die unter uns weilenden Lehrer noch etwas neues dabei finden werden. Das würde bedeuten: Die Sache wird insgesamt nicht zu 100% langweilig gewesen sein. Ich weiß, dass Worte wie Tertiär oder Diluvium sich nicht nur langweilig anhören können, sondern obendrein chinesisch.
Ich hatte mich bei meiner Vorbereitung zu entscheiden: Wie erzähle ich etwas von Sylt als unserem Hauptthema heute, ohne auf die Herkunft dieser Insel einzugehen? Aber das wäre ja, als erzählte man in einer Weise von sich selbst, als hätte man seine Eltern für das eigene Dasein gar nicht gebraucht. Also habe ich mich entschlossen, doch einiges Chinesisch in meinen Vortrag mit aufzunehmen. Das Ganze habe ich dann vorsichtshalber schriftlich festgehalten; Ich verteile das am Ende meiner Ausführungen, dann kann man, wenn man will, einiges noch einmal nachlesen. Wer es nicht nachlesen möchte, der sei trotzdem meiner ganzen Sympathie versichert. Und überhaupt: Wir sind auf dem Weg zur Insel, warum sollten wir die Zeit nicht nutzen, uns auf sie einzustimmen? Dann sehen wir die Landschaft später mit anderen Augen, anders jedenfalls als die vielen Touristen, die oft nur am Strand liegen und abends in die Kneipe gehen. Sie lesen die Getränkekarte rauf und runter, weil ihnen das Geld locker sitzt und ein gutes Sylt-Buch viel zu teuer ist,. Dafür kriegt man sechs Glas Bier. Und die Einheimischen? Glauben die denn noch das, was sie in ihrer Inselnationalhymne singen?
Üüs Söl’ring Lön’, dü best üüs helig; dü blefst üüs ain, dü best üüs Lek! Din Wiis tö hual’en sen wü welig; di Söl’ring Spraak auriit wü ek. Wi bliiv me di ark Tir forbün’en sa lung üs wü üp Warel’ sen. Uk diar jaar Uuning bütlön’ fün’en, ja leng dach altert tö di hen. Kumt Riin, kumt Senenskiin, kum junk of lekelk Tiren, tö Söl’ wü hual’ aural; wü bliiv truu Söl’ring Liren.
In der Standardsprache: Unser Sylter Land, du bist uns heilig; du bleibst unser eigen, du bist unser Glück! Deine Sitte zu halten sind wir willens; die syltringer Sprache vergessen wir nicht. Wir bleiben mit dir jederzeit verbunden, so lange, wie wir auf Erden sind. Auch die ihre Wohnung auswärts fanden, sie sehnen sich doch allzeit zu dir hin. Kommt Regen, kommt Sonnenschein, kommen dunkle oder glückliche Zeiten, zu Sylt halten wir überall; wir bleiben treue syltringer Leute.
Ich möchte Euch also ein bisschen auf diese sonderbare Insel einstimmen, damit sie mit vorbereiteten Sinnen betrachtbar sein wird, auf jeden Fall nicht mit Touristenaugen. Sonderbare Insel darum, weil über sie die sonderbarsten Sachen zu lesen und zu hören sind. Genauer gesagt sind diese Sachen sonderbar und nicht die Insel. Die Insel ist eine ganz natürliche Insel, die völlig schuldlos daran ist, dass man von ihr die sonderbarsten Sachen schreibt oder erzählt. Definiert man allerdings die Vielfalt der diese Insel, wie kurzzeitig auch immer, bewohnenden Leute als sonderbar, und das kann man durchaus, und identifiziert man die Insel mit diesen Leuten, ja: Dann ist sie eben ein sonderbar vielfältiges, vielgestaltiges, vielgesellschaftliches, vielfach charakterisierbares Eiland. In keinem Fall ist dieses Eiland irgendeine langweilige Ödnis weitab von unserer lebendigen Welt.
Wenn nun heute abend einer auf dem Nachhauseweg von Sylt und von mir enttäuscht sein sollte, dann darf er die verteilten Seiten bedruckten Papiers getrost in den Papierkorb stecken, das respektiere ich. Ich bin ja nicht dazu da, meine Heimatinsel als das Paradies der Erde zu preisen. So etwas tun vielleicht Lokalpatrioten. Lokalpatriot bin ich nicht. Ich fühle mich mehr als ein Weltbürger. Nun ist aber Sylt durchaus eine kleine Welt für sich. Eine bunte. Eine stille. Eine stürmische. Eine nachdenkliche. Eine leichtlebige. Eine künstlerische. Eine verkehrsreiche. Eine einsame. Eine oft überbevölkerte. Schon immer ist Sylt eine persönliche Geschmackssache gewesen. Sie schmeckt aber viel zu vielen Menschen viel zu gut, das ist die eigentliche Problematik. Freut man sich darüber, besorgt es einen? Hunderttausenden von Menschen schmeckt diese Natur-, diese Kultur-, diese High-Life- und Braunbrate- und Zertrampellandschaftsinsel in jedem Jahr aufs Neue, und immer wieder Neue wollen sich selbst davon überzeugen, oft eben überhaupt nicht mehr zum Wohle dieser Insel.
Seht sie Euch an, wir werden bald in Niebüll und bald auf dem Hindenburgdamm sein. Da kann man sie bald schon am Horizont erkennen.