Ein Sylt-Tag

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Arzt Dr. Knud Ahlborn war auch ein kulturell und politisch interessierter Mann. Sein Jugendlager Klappholttal baute er unter diesem Aspekt aus. Heute ist „Klappholttal“ die Sylter Akademie am Meer (Dr. M. Wedemeyer bis 1996). Kunst sollte für Ahlborn verstanden werden als Rhythmus des Geistes in der Landschaft dieses Geistes. Die alte Friesenkultur lebte ja in einer Doppelwelt, geprägt von Land und Meer. Alles Kulturhafte sollte das Naturhafte mit einschließen. Kultur galt als von der Natur abhängig: Menschlicher Geist als Teil und Funktion der Natur.

Biikebrennen auf SyltSeit vielen Jahrzehnten wird auch der Keitumer Tipkenhoog zum Biikebrennen benutzt (an jedem 21. Februar). Das Biikebrennen verabschiedet heutzutage den strengen Winter, es ist aber heidnischen Ursprungs. Man ist auch der Meinung, dass es einst zum Abschied der ihre Familien auf lange Zeit verlassenden Walfänger eingerichtet wurde. Heutzutage verkommt jedes historische oder bräuchliche Biikebrennen zunehmend im und durch den Massentorismus.
 
 
 
 

Den Grundstock für die Sylter Kulturgeschichte legte Christian Peter Hansen (1803-1879) mit dem Heimatmuseum zu Keitum. Funde aus der mittleren Steinzeit (8000 bis 3500 v.Chr.) setzten altkulturelle Güter wie die Steinsetzungen von Flachgräbern frei. Allein in den Gemarkungen Morsum und Archsum gab es 460 Grabhügel und Siedlungsstellen aus der Bronze- und Eisenzeit. Sylt besaß 480 Grabhügel und 44 Steingräber, teilweise weit ins Wattenmeer hinaus gelegen. Hinzu kommen 528 Hügel aus Bronze-, Eisen- und Wikingerzeit (1800 v.Chr. bis 800 n.Chr.) sowie 424 Siedlungstätten der römischen Kaiserzeit (200 v. bis 200 n.Chr.), so dass in Summe rund 1000 vor- und frühgeschichtliche Kulturdenkmale aufzuweisen waren, darunter die Burgen von Tinnum, Archsum und Rantum (die letzte ist von Sand verschüttet, Tinnumburg steht noch als Ringwall mit 110 m Durchmesser und 20 m Wallbreite). Es gab reichlich Münzfunde aus englischem und deutschem Ursprung aus dem 10. und 11. Jahrhundert und vielerlei Krug-, Scherben- und Werkzeugfunde, vor allem Steinfunde. Allein der Flugplatzbau zwischen Westerland und Munkmarsch vernichtete 80 historische Grabstätten auf der Insel.
Der Denghoog in Wenningstedt ist der gewaltigste Steinbau, 2200 v.Chr. jungsteinzeitlich entstanden mit 3 m breiter, 5 m langer Kammer und 6 m langem Gang, ein Ganggrab aus 12 Tragsteinen und 3 riesigen Decksteinen mit Gletscherschliff. 24 Tongefäße waren vorhanden (1868) mit einem mit Tiefstich versehenen Hauptgefäß. Zwei Langgräber gibt es nördlich des Kampener Leuchtturmes (sog. Börder), 35 m · 13 m · 2 m Hügelgröße. Südöstlich Keitums gibt es den Tipkenhoog, zur Walfangzeit (1634-1800) der Abschiedshügel, wenn die Seeleute nach Spitzbergen gingen. In den Denghoog zu Wenningstedt werden wir heute nachmittag steigen und ihn uns erläutern lassen. Dabei kann man dann einmal gedanklich innehalten und sich der Vorstellung hingeben, wie es die Menschen vor über 4000 Jahren fertiggebracht haben, eine Grabstätte mit Steinen derartiger Ausmaße zu errichten.
Kein in sich abgeschlossener Landschaftsraum in Deutschland weist einen Literaturumfang auf, wie er für die nordfriesischen Inseln besteht, hier vor allem für Sylt. Die Literatur umfasst alle Gebiete von der strengen Wissenschaft, von der Kunst, vom Roman bis hin zum Schauspiel als Ausdruck des geistigen Sylt. Neben wenigen Einheimischen sind es vor allem die Fremden, die nachdenklich oder begeistert von und über Sylt schreiben und seine Landschaft auf die Leinwand bringen. Einige Namen: Wilhelm Raabe, Christian Morgenstern, Theodor Storm, Detlef v. Liliencron, Ferdinand Avenarius, Peter Suhrkamp, Thomas Mann, Stefan Zweig, Gerhard Hauptmann, Carl Zuckmayer, Max Frisch sowie Hans Peter Feddersen, Walter Leistikow, Max Beckmann, Emil Nolde, Magnus Weidemann u.v.m.
Es gibt Sagen und Erzählungen von entlegenem unwirtlichem Dünenland bei Hörnum und seinen Schiffsstrandungen, von Piraten um Pidder Lyng, Maiken Niß Taken und Jakob Leiert usw., und von Ekke Nekkepen, dem Meermann, sowie den Önnereersken, den Unterirdischen, mit ihrem König Finn in der Braderuper Heide im Streit mit den Sylter Riesen um ihren König Bröns.
Man spricht im wesentlichen drei Sprachen auf Sylt. Die eigentliche Sprache, das Söl’ring, ein friesischer Dialekt, unter dem, neben Hoch- und Plattdeutsch, ich großgeworden bin, muss heute gepflegt und unterstützt werden, damit sie nicht übermorgen ausstirbt. Zu mächtig sind die hochdeutschen Fluten des Tourismus, des Fernsehens und der aufkommenden elektronischen Kommunikationstechnik in privaten Händen. Aber eben auch Plattdeutsch wird gesprochen, vornehmlich von Menschen, die vom Festland dauerhaft nach Sylt gezogen sind, zumeist, um hier zu arbeiten.
Die älteste Urkunde, ein Schreiben von 1141 aus dem Kloster zu Odense, nennt die Insel Sild, etwas später Siland, dann wieder, ab 1180, Sild. Die Einheimischen sagen Söl’, sie sind Söl’ring Lir (Syltringer Leute). C.P.Hansen sagt, „Sylt“ komme vom alten, untergegangenen „Seeland“. Plinius d. Ä. (um 23 bis 79 n.Chr.) ist der erste Beschreiber der Nordseeküsten, später folgt Tacitus 98 n.Chr. und berichtet von den Westfriesen. Diese sind aus dem holländischen Raum hergezogen (Südfriesland, etwa um 857). Sie brachten den Deichbau mit, dieses belegt Saxo Grammaticus in seinen Aufzeichnungen. Interessante Berichte liefert der Pastor Anton Heimreich in seiner Nordfresischen Chronik aus dem 17. Jahrhundert.
Kämpfe zwischen Franken und Friesen führten im 8. Jahrhundert zur Einwanderung der Friesen. Konflikte mit den auf höheren Inselplätzen wohnenden Dänen (Wenningstedt, Braderup) lösten sich in Absorption der dänischen Siedlungen durch die technisch besseren Friesen. Ende des 12. Jahrhunderts entstanden die Kirchen zu Keitum und Morsum. Am 16.5.1644 fand eine Seeschlacht im Lister Tief statt zwischen holländisch-schwedischer und dänischer Flotte zugunsten des dänischen Königs; seitdem gibt es den Königshafen. 70 Sylter Seefahrer wurden auf dänische Anordnung für Napoleon zwangsverpflichtet. Dänische Besetzungen gab es laufend, 1850 gab es ein Seegefecht bei Amrum zwischen schleswig-holsteinischen und dänischen Kriegsschiffen. Am 9.2.1851 verließen die Dänen Sylt, aber erst 1864 gab es die endgültige Lösung der politischen Verhältnisse zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark. Der Gedanke Uwe Jens Lornsens, eines Keitumer Nationalhelden, der für ein deutsches Schleswig-Holstein kämpfte und sich 1838 im Genfer See das Leben nahm, wurde Wirklichkeit.
Wir werden heute nachmittag sehen, dass der Königshafen inzwischen eine tief in das Sylter Land eingreifende, versandete, bei Hochwasser eine kleine Sandinsel tragende Bucht ist. Die Sandinsel heißt Uthörn und ist Vogelschutzgebiet. Auch viele Seehunde dösen gern auf ihr in der wärmenden Sonne. Der Nordfriesische Verein und die Söl’ring Foriining (Sylter Verein) erhalten die Sylter Kultur- und Naturpflege, wobei die erste Pflege aufbaut, die zweite immer weiter zurückgeht infolge Naturgewalten, verantwortungsloser Landschaftszerstörung durch kommunalpolitisch zugelassene Bebauung und Tourismus. Einen ausgesprochen wichtigen Beitrag zur Landschaftserhaltung liefert die Losinteressentenschaft Kampen innerhalb ihres historisch begründeten Land-Eigentums von Kampen bis hin an das Klappholttal.