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Zum Gedenken an Kapitän Günter Haselbach

 

 

 

 

Günter starb nach einer schweren Krankheit am 15. September 2013 im 77. Lebensjahr. Ich besuchte ihn zwei Tage zuvor in seinem Haus. Seine aufrechte und ehrbare Persönlichkeit bleibt unvergessen. Ich sagte zu ihm, indem er fest meine Hand hielt: „Wir sehen uns demnächst wieder!“ Er sagte: „Komm!“.
Wir sahen uns nicht mehr wieder. Wie viele, viele andere Trauergäste auch fuhr ich am 26. September nach Kiel. Unser Buch „Pamir und Passat – die letzten deutschen Handelssegler“ zeigte der Trauerredner mit erhobener Hand in den Trauersaal. Sobald ich es aufschlage, bin ich auch wieder bei Dir.

Günter erlernte bei Wilhelm Frerichs in Kiel das Segelmacherhandwerk. Zehn Tage nach erfolgter Gesellenprüfung ging er im Jahr 1956 auf der „Pamir“ als Leichtmatrose an Bord. Auf diesem Tiefwasser-Frachtsegler, zugleich Ausbildungsschiff für die Junggrade der Mannschaft, war er bis zum 21. September 1957 in Arbeit.

„Pamir“ und „Passat“ waren vor allem für die qualifizierte Ausbildung des Nachwuchses der westdeutschen Handelsschifffahrt bestimmt. Zur Gründung dieses Vorhabens hatten sich etwa 40 Reeder für eine projektbezogene Stiftung entschlossen.

So konnten die beiden einst der Reederei F. Laeisz gehörenden Viermastbarken wieder in Fahrt gesetzt werden, statt verschrottet zu werden. Das hatte nach dem Konkurs der Reederei Schliewen erneut gedroht. Anfang 1955 wurde die „Pamir“, im September die „Passat“ in Dienst gestellt. Das Unternehmen Zerssen & Co. aus Rendsburg betreute die Schiffe als Korrespondentreederei. Fracht wurde von Hamburg nach Argentinien und Getreidefracht wurde von dort nach Hamburg transportiert. Die Kosten des teuren Unterfangens sollten auf diese Weise reduziert werden und dienten zusätzlich der Aufgabenstellung zur See fahrender Besatzungsmitglieder.

Die kaufmännische Bilanz war insgesamt negativ, doch war die Qualität der Ausbildung von großem Wert. Der Kadett lernte, seine persönliche Verantwortung für jedes Mitglied der Besatzung zu übernehmen. Schuljunge Günter und sein Freund Erich waren 1951 von der Kieler Scheermole hinüber zur Tirpitzmole geschwommen, wo die „Pamir“ lag, und enterten über die Lotsentreppe auf.

Hermann Eggers, 1. Offizier, erlaubte es, dass die beiden Jungs sich intensiv umsahen – und fünf Jahre später gehörte Günter zur Besatzung (als neunter von links blickt er in dieser Gruppe in die Kamera). Die Schule und die „Pamir“ waren den beiden Schulfreunden die ersten Anlaufplätze geblieben. Wer zur Besatzung der Instandsetzung der „Pamir“ gehörte, sah die Jungs gerne an Bord. Sie wurden herumgeführt, sahen Schiffsräume, Messen, Logis. Kombüse und die Takelage mit ihren Masten, Rahen, Stengen, stehendem und laufendem Gut mit allem Tauwerk, allen Blöcken und Beschlägen. Günter wollte zur See fahren, das stand fest, doch der Vater hatte Wert auf einen Landberuf gelegt.

So wurde der Sohn Segelmacher – die beste Voraussetzung dafür, dass er an Bord eines Segelschiffes sogleich professionell „Hand anlegen“ konnte. Man sieht ihn hier links. Die schlimmen Kriegsjahre waren überstanden, der Vater war aus Gefangenschaft zurückgekehrt. Der Bedarf an Seeleuten war groß, „zehntausend“ fuhren in den 1950er Jahren auf deutschen Handelsschiffen zur See.

Zur Stammbesatzung gehörend, sieht man Günter (zweiter von links) an Bord gebracht werden. Nicht nur, weil er Segelmacher war, auch, weil er schon als Schüler eine Seglerausbildung in Kiel absolviert hatte, fiel ihm der Umgang mit den handwerklichen Notwendigkeiten auf dem Großsegler leichter, als wenn er aus einer Schiffsjungenschule gekommen wäre. Die Ausbildung dort, bevor man zum ersten Mal an Bord ging, war aber ohne Frage ebenfalls vorteilhaft.

Jeder Seemann, der die Äquatorlinie erstmals überquerte, musste die Äquatortaufe über sich ergehen lassen. Meeresgott Neptun sollte ihm ja durch diese Zeremonie seine irdisch-wasserbedeckte und meeresgöttlich-gesäuberte Südhälfte auf Lebenszeit freigeben. Zusätzlich durfte der Getaufte von nun an bei allen Schikanen an Bord mitwirken – unter den wachsamen Augen des Kapitäns selbstverständlich, denn auch nur die kleinste Schädigung eines Täuflings war offiziell untersagt. – Günter in Bildmitte als Mediziner.

Auf seiner zweiten Heimwärts-Reise wurden sämtliche Tätigkeiten der „Pamir“- Besatzung durch Hurrikan „Carrie“ beendet. Das Schiff sank am 21.09.1957. Eine der größten Tragödien der Seefahrt und eine der aufwändigsten Suchaktionen nach Überlebenden nahmen ihren Lauf. Nach 48 Stunden wurden fünf Mann aus dem Rettungsboot 6 gerettet. Günter und weitere 21 Mann hatten sich an oder in dem von mächtigen Sturzseen immer wieder umgeschlagenen Rettungsboot 2 sichern können. Schiffe wurden gesichtet, Flugzeuge gehört, aber die um ihr Boot kämpfenden, zumeist jungen Männer wurden in den weiten Suchgebieten der orkanbewegten See nicht ausgemacht. 72 Stunden am oder im Boot hielten 20 Mann nicht durch. Der letzte Begleiter, Franz Hutschenreuther, verließ zwei oder drei Stunden vor Günters Rettung das Boot am anderen Bootsende und schwamm in der inzwischen beruhigten See wortlos davon.

Die See hatte sich also beruhigt, und ein die Wasserfläche mit dem Fernglas absuchender Offizier des amerikanischen Schiffes „Absecon“ entdeckte Günters Boot. Er hatte das Glas noch einmal zurück geschwenkt, weil er gegen den Sonnenstand einen dunkleren Punkt in der gleißenden, spiegelnden Lichtstraße erkannt zu haben glaubte. Aus seinem mit Seewasser gefüllten Boot 2 fiel der Gerettete den mit einer Barkasse herangekommenen Rettern bewusstlos in die Arme. Sie brachten ihn an Bord der „Absecon“, wo er erstbehandelt wurde.

Das sich unweit befindliche französische Passagierschiff „Antilles“ übernahm den Geretteten. Der Transfer zur „Antilles“ erfolgte auch mit der kleinen, offenen Barkasse. Die „Antilles“ befand sich auf der Fahrt in Richtung Karibik.

Dieses Foto ist das erste nach der Rettung. Günter hat in seinem Boot die von 8 bis 10 Meter-Sturzseen herrührenden Strapazen überwunden, weil er ausreichend Durchhaltekraft besaß, die von seinem starken Willen genährt wurde. Hunger und Durst, unvermeidliche nacheinanderfolgende Verluste der Kameraden, deren Spontanverhalten und Kräfteschwund er nicht verhindern konnte, Nässe und Kälte und die zunehmende eigene seelische und körperliche Schwächung gefährdeten ihn über die vier Tage und drei Nächte. Er wurde nicht nur Augenzeuge, er wurde Erlebenszeuge dessen, was 80 Seeleute von 86 an Ängsten, Überlebenswillen, Hoffnungen und Kräfteschwund mit in ihren nassen Tod nehmen mussten.

Auf der „Antilles“ kam Günter in dieser ihn schützenden Bekleidung an Bord. Auf der „Absecon“ war er eingekleidet worden und man hatte ihm eine kleine Tasche mitgegeben, in der sich ein gesammelter Geldbetrag und eine kleine Bibel mit Widmung befanden. Auf der „Antilles“ kam er sogleich in das Bordhospital und in die Fürsorge einer mütterlichen Passagierin. Sie nahm seinen Bericht als Text mit einer Schreibmaschine auf, der später bei der Verhandlung des Seeamtes verwendet wurde. Ein erheblicher Geldbetrag wurde auf dem Passagierschiff für ihn gesammelt. In San Juan, Puerto Rico, brachten ihn die Vertreter des Deutschen Konsulats und der Hamburg-Amerika-Linie in das Condado Beach Hotel.

Günters Rettungsboot Nr. 2 wurde von einem Frachter geborgen. Es wurde dabei achtern beschädigt. Schon am ersten Seenottag waren die Lufttanks von der See aus ihren Befestigungen geschlagen worden. Dadurch hatte es bis zu den Sitzbänken schwer im Wasser gelegen. Haie begleitende Pilotfische waren durch vier Öffnungen im Unterboden ins Wasser des Bootes gedrungen. Es liegt als Erinnerung an die Katastrophe in der Seefahrerkirche St. Jakobi zu Lübeck.

Nach seiner völligen Genesung wurde Günter mit einem provisorisch ausgestellten Pass und in Begleitung von Frau Irmgard Jung über New York und Shannon nach Hamburg geflogen. Endlich zu Hause! Kapitän Eggers, der nach 2½ Jahren auf der „Pamir“ für die vermutliche Dauer der Schicksalsreise seines Schiffes Urlaub genommen hatte, begleitete Günter von Hamburg nach Kiel und ins Elternhaus. Günter würde weiter zur See fahren, das stand fest. Ein neues Seefahrtbuch musste her.

Die sechs Überlebenden, Karl-Heinz Kraaz, Volkert Anders, Klaus Fredrichs, Karl Dummer, Hans-Georg Wirth, Günter Haselbach und der in Buenos Aires krankheitshalber ausgestiegene Eckhard Roch waren die wichtigsten Zeit- und Erlebenszeugen in der Verhandlung des Seeamts zu Lübeck 1958.

Der abschließende Spruch des Vorsitzenden Luhmann fand unter Fachleuten herbe Kritik, unter Reportern und späteren Buchautoren hingegen vielfach publikumswirksame Anregung für Anschuldigung, Negativ-Unterstellung, story und Wirklichkeitsverfälschung.

 
 
 
 
Der hier Günter nachschauende Reporter der „Kieler Nachrichten“, Klaus Reinhardt, berichtete objektiv und fragte danach, ob es gerecht war, den gestandenen Kapitänen von Großseglern einschließlich Kapitän Eggers als „Pamir“- Fachleuten weniger Respekt und Würdigung ihren Aussagen gegenüber zu zollen als den Aussagen von Beratern aus der akademischen Wissenschaft, die Seefahrtslaien waren. 
 
 
 
 
 

Das Geschehen seines Überlebens nach dem „Pamir“- Untergang hat Günter bis zuletzt geprägt. Das weiß ich von ihm. Ich musste im September 1957 vom Zerssenschiff „Rantum“ krankheitshalber abmustern, sonst hätte ich Günter früh kennengelernt. Er stieg nach mir auf der „Rantum“ ein, auch Karl-Heinz Kraaz. Zwar macht es einen Unterschied aus, ob man sich im jungen oder im gereiften Alter kennenlernt, aber gewiss hätten wir uns damals schon gut verstanden.

Günter machte bald sein Steuermanns- und Kapitänspatent und fuhr u. a. bei der Reederei Frigga, ab 1967 als Zivilkapitän im Bereich des BMVg bis zum Jahr 2000. Im Januar des Jahres 2006 trafen sich die Kapitäne Günter Haselbach, Uwe Hoffmann und Kay Andersen (mein Sohn) ...

... bei meiner Frau und mir in Wenningstedt auf Sylt, um ihre Beiträge zu meinem Buchprojekt über die „Pamir“ darzulegen und zu erkunden, was ich mit dem Projekt vorhatte. Zum ersten Mal war Günter bereit, einen Text über seine „Pamir“-Zeit zur Veröffentlichung beizutragen. Die Buchvorstellung in Lübeck im Gemeindehaus auf dem Jakobi-Kirchhof war überaus ...

... gut besucht. Presse und Rundfunk waren dabei. Das Buch erschien rechtzeitig zum 50. Jahrestag der „Pamir“- Tragödie, der in der Jakobi-Kirche in großer Würdigung über drei Tage begangen wurde, auch dank des Pastors Lutz Jedeck. Die Possehl-Stiftung förderte eine vielfache Verbreitung des Buches. Zum zweiten Mal trafen wir uns in Lübeck im Bücherhaus Weiland wegen einer...

...Sonderauflage des Buches in höherer Zahl, die dankenswerterweise von der Possehl-Stiftung beim Verlag in Auftrag gegeben worden war.

Günter ruhte nicht nach seiner Pensionierung. Er besuchte Vorlesungen an der Christian-Albrecht-Universität in Kiel, blieb Mitglied in der „Pamir und Passat-Vereinigung“ und machte Wochenreisen auf Traditionsseglern des Deutschen Jugendwerks zur See „Clipper“, das die traditionelle Seemannschaft auf seinen Segelschiffen interessierten Personen und Gruppen z. B. auf wöchentlichen Ostseetörns anbietet.

Dazu gehörten sein „Pamir“-Kamerad und Freund Uwe Hoffmann und Kay Andersen (Bild zuvor), der oft den entsprechenden Clipper-Traditionssegler führte. Stets belegten die beiden „Pamir“-Fahrer dieselbe Kammer, in der sich zwei Kojen befanden. Uwe und ich belegten 1957 auf dem Dampfer „Morsum“ ebenfalls eine gemeinsame Kammer für eine Mittelmeerreise, dabei verbrachte ich selber auf der „Morsum“ vier Levante-Reisen.

Es war für Günter geradezu notwendig, ein- oder zweimal im Jahr auf einem dieser beiden schönen Traditionssegler, auf der „Amphitrite“ oder auf „Johann Smidt“ oder auf einem anderen „Clipper“- Traditionssegler an Bord zu sein und über die Ostsee zu segeln.
Die Sommerreise 2013 mitzumachen war aber krankheitsbedingt nicht mehr möglich. Am 30. Juni 2013, von seiner Frau Helga nach Kiel an die Pier gefahren, begegnete ich Günter, aber auch Uwe vor der „Johann Smidt“, wo Uwe an Bord nach vielen Jahren einen neuen Kammergenossen ausfindig machen musste.
 
Günter schien willensstark wie immer zu sein, man durfte meinen, dass er sich doch ganz sicher fühlte, die Krankheit zu überstehen.

Ich bin dankbar, Dich in Deiner lauteren Persönlichkeit so gut kennengelernt zu haben. Wir hatten oft persönlichen, schriftlichen oder telefonischen Kontakt. Du hast mir Deine Unterlagen anvertraut und mir darüberhinaus viele Unterlagen geschenkt. Wir verstanden uns schnell und dauerhaft gut. Deine Frau und Du wart bei uns zu einem großen Fest und ich lernte Deine Familie am 13. und 26. September 2013 kennen. Viele Menschen vermissen Dich, meine Frau und ich gehören dazu. Zwei Tage, bevor Du die Augen für immer schließen musstest, schautest Du mich, als ich Dich in Euerm Haus besuchte, klar und bewusst an, hieltest meine Hand und sagtest zu mir, Deinem letzten Besucher: „Komm (wieder)!“.
Hier mein letztes Foto von Dir. In Deinem Auto. In Kiel an der Pier. 30. Juni 2013. We`ll never forget you, Günter.

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